"Darf man noch 'Asperger' sagen?" – Ein offener Dialog über Diagnose, Identität und Respekt
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22. Oktober 2025 um 00:00 -
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- Die medizinische Realität in Deutschland
- Die Geschichte von Hans Asperger – Die unbequemen Wahrheiten
- Der Unterschied zwischen kritischer Aufarbeitung und Vorwürfen gegen dich
- Warum viele Autisten zu ihrer Asperger-Diagnose stehen
- Was du nicht bist, wenn du zu deiner Asperger-Diagnose stehst
- Der kritische Blick auf eine gewisse Aktivisten-Rhetorik
-
Ein Leitfaden für dich: So gehst du mit Angriffen um
- Dokumentation und Sicherung
- Blockieren und Distanz schaffen:
- Klar, direkt und ehrlich antworten
- Verbündete suchen
- Vertrauen bewahren – aber nicht kapitulieren
- Unterstützung suchen
- Du kannst dich auch mit uns, dem ADHS & Autismus Bundesverband, in Kontakt treten. Solche Fälle sollten dokumentiert werden, und wir sollten unsere Mitglieder schützen und unterstützen.
- Unsere Haltung als ADHS & Autismus Bundesverband – Ein klares Bekenntnis
- Hier ist unsere Position:
- Was wir nicht tun werden:
- Was wir stattdessen tun:
- Abschließende Gedanken: Die Debatte muss offener werden
Ja, du darfst noch "Asperger" sagen. Und ja, wenn du mit Asperger-Syndrom diagnostiziert bist, darfst du dich zu deiner Diagnose bekennen. Diese einfache Antwort verdient jedoch eine differenzierte Erklärung, denn dahinter verbirgt sich eine vielschichtige Debatte, die in der Autismus-Community sehr emotional geführt wird – und die betrifft auch dich unmittelbar.
Die medizinische Realität in Deutschland
Hier eine wichtige Klarstellung: In Deutschland wird derzeit noch nach ICD-10 diagnostiziert, in dem das Asperger-Syndrom als eigenständige Diagnose (F84.5) verankert ist. Frühestens ab 2027 wird die Möglichkeit bestehen, nach ICD-11 zu diagnostizieren, in der das Asperger-Syndrom in der Autismus-Spektrum-Störung aufgeht. Das bedeutet für dich konkret: Deine Asperger-Diagnose ist nach deutschem Standard vollkommen valide und berechtigt – heute und auch noch in der Übergangsphase nach 2027.
Die Diagnose, die du erhalten hast, basiert auf anerkannten diagnostischen Kriterien. Sie ist nicht falsch, nicht überholt und nicht moralisch fragwürdig, weil du dich zu ihr bekennst. Das ist ein wichtiger Punkt, den du dir bewusst machen solltest, wenn du dich von Aktivisten angegriffen fühlst, die dir das Gegenteil einreden möchten.
Darf man noch "Asperger" sagen? - Galoxee TV
Die Geschichte von Hans Asperger – Die unbequemen Wahrheiten
Nun zur schwierigen Komponente dieser Debatte: Die Person Hans Asperger war verstrickt in die NS-Zeit, und diese Geschichte verdient ehrliche Aufarbeitung.
Der österreichische Kinderarzt Hans Asperger kooperierte aktiv mit dem Kinder-Euthanasieprogramm der Nazis. Er überwies mehrere Kinder an die Jugendfürsorgeanstalt "Am Spiegelgrund" in Wien, obwohl er wissen musste, dass sie dort ermordet würden – im Rahmen der systematischen Ermordung von Kindern mit Behinderungen. Dies ist wissenschaftlich dokumentiert und wird von renommierten Historikern wie Herwig Czech fundiert erforscht.
Und jetzt kommt der wichtige Punkt: Diese historische Tatsache ändert nichts daran, dass du deine Diagnose verwenden und dich dazu bekennen darfst. Das ist ein absolut zentraler Punkt, den du verstehen und anderen gegenüber vertreten solltest.
Der Unterschied zwischen kritischer Aufarbeitung und Vorwürfen gegen dich
Es gibt einen qualitativen Unterschied zwischen zwei Positionen:
Position 1 (Wissenschaftlich und berechtigt): "Die Verwendung des Namens 'Asperger-Syndrom' ist problematisch, weil die Person Hans Asperger in der Nazi-Zeit Verbrechen begangen hat. Dies sollte in der wissenschaftlichen Gemeinschaft kritisch diskutiert werden, und ein Namenswechsel könnte erwogen werden."
Position 2 (Angriffsfläche für Missbrauch): "Menschen, die sich zu ihrer Asperger-Diagnose bekennen, befürworten die Handlungen von Hans Asperger und sind Nazis/Holocaustleugner."
Position 2 ist logisch falsch und ethisch bedenklich. Sie vermischt die legitime Kritik an einer historischen Person mit persönlichen Angriffen auf dich und andere Betroffene. Das ist Gatekeeping in seiner schlimmsten Form.
Warum viele Autisten zu ihrer Asperger-Diagnose stehen
Und es gibt gute Gründe dafür:
Für viele Autisten wie dich stellt das Asperger-Syndrom eine wichtige Identitätsmarke dar. Du hast dich damit auseinandergesetzt, du hast Literatur gelesen (von anderen Autisten!), du hast verstanden, dass es um eine neurodivergente Art des Menschseins geht – nicht um eine "Störung", die man wegtherapieren muss. Wenn du dich als "Aspie" bezeichnest, drückst du damit aus: "Autismus ist ein Teil von mir, es ist nicht etwas, das mir zugestoßen ist. Ich bin autistisch. Punkt."
Diese Haltung wird von der Autismus-Selbstvertretungsbewegung unterstützt und steht im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention, die dein Recht auf Selbstbestimmung und Selbstvertretung betont.
Die deutsche Autismus-Kultur-Seite, die von Autisten für Autisten betrieben wird, hält dazu fest: "Im Alltag darfst du weiterhin von Asperger-Autismus oder Asperger-Syndrom sprechen, oder dich als Aspie bezeichnen, wenn du das möchtest."
Was du nicht bist, wenn du zu deiner Asperger-Diagnose stehst
Es ist wichtig, dass du das verstehst:
- Du befürwortest nicht die Handlungen von Hans Asperger, indem du dich zu deiner Diagnose bekennst.
- Du bist kein Nazi und kein Holocaustleugner, weil du sagst: "Ich bin Asperger-Autist/in."
- Du musst dich nicht schämen, wenn die Diagnose für deine Identität wichtig ist.
- Du schuldest niemandem eine Rechtfertigung für die Verwendung deiner eigenen Diagnose.
Das Gegenteil zu behaupten, ist eine Form der Gewalt – nämlich der Versuch, dich durch moralische Erpressung zum Schweigen zu bringen.
Der kritische Blick auf eine gewisse Aktivisten-Rhetorik
In der Autismus-Community gibt es – das muss offen gesagt werden – einen Aktivismus, der zuweilen problematisch wird. Es gibt Stimmen, die unter dem Deckmantel von "Aufklärung über Autismus" u.a. "Hans Aspergers Nazi-Vergangenheit" tatsächlich versuchen, andere Autisten mundtot zu machen, ihre Diagnose zu delegitimieren und sie als moralisch fragwürdig hinzustellen.
Das ist nicht die Weitergabe von historischen Fakten. Das ist Gatekeeping und Mobbing. Und es schadet der Gemeinschaft enorm, weil es:
- Betroffene wie dich voneinander trennt
- Energie auf interne Konflikte verschwendet, statt sich gemeinsam für echte Inklusion einzusetzen
- Taktiken des Shaming einsetzt, um dich und andere zum Schweigen zu bringen
- dein Selbstbestimmungsrecht untergräbt
Ein Leitfaden für dich: So gehst du mit Angriffen um
Falls du erleben solltest, dass du öffentlich angegriffen, beschuldigt oder als "Nazi" dargestellt wirst, weil du zu deiner Asperger-Diagnose stehst, können dir folgende Strategien helfen:
Dokumentation und Sicherung
Speichere Screenshots von Angriffen und Vorwürfen. Tu dies ruhig, gründlich und im Beisein von Zeugen, wenn möglich. Du könntest später Beweise benötigen.
Blockieren und Distanz schaffen:
Du musst nicht mit Menschen kommunizieren, die dich attackieren. Blockiere Accounts, melde Inhalte dem Plattform-Anbieter, wenn diese gegen Richtlinien verstoßen. Es ist okay, dich selbst zu schützen.
Klar, direkt und ehrlich antworten
Wenn du antworten möchtest, tu das in klarer, direkter Sprache. Zum Beispiel:
- "Ich bin autistisch. Meine Diagnose ist nach ICD-10 berechtigt. Ich lehne Mobbing ab."
- "Der Missbrauch von historischen Fakten als Waffe gegen Betroffene ist nicht Aufklärung. Das ist Gewalt."
- "Meine Diagnose ist nicht meine Schuld. Ich stehe dazu."
Verbündete suchen
Tritt mit anderen Betroffenen in Kontakt. Peer-Support ist unbezahlbar. Es gibt Selbstvertretungsgruppen, Online-Communities und Foren, wo du auf Menschen triffst, die ähnliche Erfahrungen machen. Du bist nicht allein.
Vertrauen bewahren – aber nicht kapitulieren
Es ist völlig normal, wenn du nach solchen Angriffen verwirrt, traurig oder wütend bist. Gib dir selbst Raum für diese Gefühle. Aber gib nicht nach. Deine Diagnose ist berechtigt. Deine Identität ist berechtigt. Dein Selbstbestimmungsrecht ist berechtigt.
Unterstützung suchen
Falls du unter den Angriffen leidest, sprich mit Vertrauenspersonen, Therapeuten oder Beratungsstellen. Digitale Gewalt und Mobbing können echte psychische Belastungen hervorrufen – das ist normal und kein Zeichen von Schwäche.
Du kannst dich auch mit uns, dem ADHS & Autismus Bundesverband, in Kontakt treten. Solche Fälle sollten dokumentiert werden, und wir sollten unsere Mitglieder schützen und unterstützen.
In diesem Video erzählen sie ganz persönlich, wie und wann sie ihren Autismus bemerkt haben, und warum sie glauben, dass sie anders ticken als Nichtautisten.
Unsere Haltung als ADHS & Autismus Bundesverband – Ein klares Bekenntnis
Und jetzt möchten wir ganz klar sprechen: Wir als ADHS & Autismus Bundesverband erleben selbst, wie betroffene Autisten in der Community angegriffen werden, weil sie zu ihrer Asperger-Diagnose stehen. Und wir haben genug davon.
Wir kennen diese Vorwürfe. Wir kennen die moralischen Erpressungen. Wir wissen, wie es sich anfühlt, wenn Aktivisten aus der eigenen Community dir sagen, dass du ein Nazi bist, weil du sagst: "Ich bin Asperger-Autist/in." Wir haben Kontakt mit vielen Betroffenen, die genau das erleben – und wir finden das inakzeptabel.
Hier ist unsere Position:
1. Wir stehen hinter dir und deiner Diagnose
Wenn du mit Asperger-Syndrom diagnostiziert bist, dann ist das deine Diagnose. Sie ist berechtigt. Sie ist gültig. Sie ist nicht moralisch fragwürdig. Punkt. Daran ändern moralische Erpressungen nichts.
2. Wir lehnen die Vermischung von Fakten und Attacken ab
Ja, die Geschichte von Hans Asperger muss aufgearbeitet werden. Ja, diese Geschichte ist wichtig. Aber nein – diese historische Aufarbeitung darf nicht dazu missbraucht werden, um Betroffene wie dich zu attackieren und mundtot zu machen. Wer das tut, missbraucht Geschichte als Waffe. Das unterstützen wir nicht.
3. Wir nennen das, was es ist: Gatekeeping und Mobbing
Wenn Aktivisten dir vorwerfen, du wärest Nazi oder Holocaustleugner, weil du zu deiner Diagnose stehst – dann ist das nicht Aufklärung. Das ist Mobbing. Das ist der Versuch, dich aus der Gemeinschaft auszugrenzen. Und wir sagen klar: Das lehnen wir ab.
4. Wir setzen Grenzen
Es ist an der Zeit, dass wir als Verband klarer werden: Aktivismus, der sich in Mobbing verwandelt, ist nicht okay. Auch nicht, wenn er unter dem Deckmantel von "Aufklärung" daherkommt. Wir werden nicht schweigen, wenn Betroffene so angegriffen werden.
5. Wir fördern Selbstbestimmung – wirklich
Echte Autismus-Selbstvertretung bedeutet, dass du selbst entscheidest, wie du deine Diagnose nennst, wie du über dich selbst sprichst und wie du deine Identität ausdrückst. Nicht, dass jemand dir vorschreibt, welche Begriffe du verwenden "darfst". Wir stehen für echte Selbstbestimmung – und das bedeutet, auch unbequeme Fragen zu unterstützen.
6. Wir bieten Unterstützung und Leitfäden
Wir werden konkrete Ressourcen entwickeln für Betroffene, die Mobbing erleben. Leitfäden, Handreichungen, Unterstützungsangebote. Du sollst nicht allein sein mit dem, was dir passiert.
7. Wir sind bereit, den Dialog zu führen – mit allen Perspektiven
Wir glauben an offene, respektvolle Diskussionen. Aber Respekt geht beide Richtungen. Wer bereit ist, offen und ehrlich über diese Fragen zu sprechen – ohne Mobbing, ohne moralische Erpressung – der findet in uns einen Gesprächspartner. Wer Betroffene attackieren will, der findet in uns einen Gegner.
Was wir nicht tun werden:
- Wir werden nicht schweigen, wenn Betroffene angegriffen werden.
- Wir werden nicht so tun, als wäre dies ein "legitimer Aktivismus".
- Wir werden nicht Betroffene unter Druck setzen, ihre Diagnose zu verstecken oder zu leugnen.
- Wir werden nicht akzeptieren, dass Gatekeeping und Mobbing unter dem Deckmantel von Aufklärung stattfinden.
Was wir stattdessen tun:
- Wir hören betroffenen Autisten zu – auch denen, die unbequeme Fragen stellen.
- Wir setzen uns für echte Selbstbestimmung ein – das bedeutet auch das Recht auf deine eigene Diagnose.
- Wir führen offene, ehrliche Debatten – und wir setzen Grenzen gegen Mobbing.
- Wir bauen Solidarität auf – zwischen allen Autisten, unabhängig davon, welche Diagnose oder welchen Begriff sie verwenden.
Abschließende Gedanken: Die Debatte muss offener werden
Die Debatte "Darf man noch 'Asperger' sagen?" ist wichtig. Aber sie muss offener, respektvoller und weniger aggressiv geführt werden.
Ja, es ist berechtigt, darüber zu sprechen, dass Hans Asperger ein Mann der Nazi-Zeit war, der Verbrechen begangen hat. Das sollte nicht verschwiegen werden.
Aber nein, es ist nicht berechtigt, dich deswegen als moralisch fragwürdig hinzustellen. Das sind zwei verschiedene Diskussionen.
Deine Diagnose ist dein gutes Recht. Du bist nicht schuldig für die Handlungen einer Person, nach der sie benannt wurde. Du bist nicht schuldig dafür, dass du 1997 oder später mit dieser Diagnose etikettiert wurdest.
Und du schuldest niemandem eine Erklärung oder Rechtfertigung.
Bleib autonom. Bleib selbstbestimmt. Bleib dir selbst treu. Das ist der Kern dessen, worum es der Autismus-Selbstvertretungsbewegung geht.
Du erlebst Mobbing oder Attacken, weil du zu deiner Asperger-Diagnose stehst? Kontaktiere uns. Der ADHS & Autismus Bundesverband e.V. steht hinter dir – nicht nur in Worten, sondern auch in Taten.